11 - Chronischer Rückenschmerz: Wege aus dem Dilemma [ID:208]
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Thema Rückenschmerz ist auch was, womit wir uns bei uns in der Klinik wissenschaftlich

beschäftigen, komme später auch drauf, werde dazu noch einiges sagen. Prävalenz

von Rückenschmerz, es gibt hier unterschiedliche Angaben, hier eine deutsche Literaturstelle,

wenn Sie auf die Straße hinausgehen und fragen, haben Sie heute Rückenschmerz oder im Moment,

dann sagen in Deutschland ca. 40% ja. Wenn Sie fragen, hatten Sie im letzten Jahr Rückenschmerz,

dann sind es ca. 70% und wenn Sie fragen, hatten Sie schon einmal in Ihrem Leben Rückenschmerz,

dann sind es über 80%. Es gibt unterschiedliche Daten, Sie sehen Punktprävalenz, das heißt also

im Moment international zwischen 19 und 40%, ein Jahresprävalenz 40 bis 70% und Lebensprävalenz

eben zwischen 50 und 80%, die Zahlen in der Literatur. Es gibt erhebliche Schwankungen

international, wenn Sie beispielsweise nach England gehen und fragen, wie viel haben Rückenschmerz,

dann sind es deutlich weniger Menschen als bei uns, bei uns waren es 40%, es gibt Arbeit in England,

danach sagen es 16% und wenn Sie in Indien fragen, dann sind es vielleicht nur 2 oder 3%. Das komme

ich dann darauf, wie man das interpretieren kann oder worauf man das zurückführen kann. Die Genetik

kann es nicht sein, denn der Engländer unterscheidet sich nicht wesentlich vom Deutschen, auch die

Arbeitsbedingungen können es eigentlich zwischen England und Deutschland auch im Wesentlichen nicht

sein, kommen wir noch drauf. Sozialmedizinisch hat es natürlich enorme Auswirkungen, auch hier

wieder einige Studien, das führt dazu im englischen Sprachgebrauch unfit for work, also

arbeitsunfähig durch Rückenschmerz bis zu 24% der Männer, 20% der Frauen, Arbeitsplatzwechsel 4%

oder 2%, also Sie sehen, dass das insbesondere sehr hohe indirekte Kosten macht der chronische

Rückenschmerz durch eben Arbeitsunfähigkeit und weitere Maßnahmen. Hier weitere Statistiken, wenn

Sie schauen von 1983 auf 1990 hat die Zahl der Arbeitsunfähigkeiten bezogen auf 10.000 bei den

Männern von 1228 auf 1682 zugenommen, also ein Anstieg von 37% bei den Frauen 13%. Der Krankenhaus

Aufenthalt hat abgenommen, das liegt aber daran, dass insbesondere die Rehabilitation in Deutschland

hier diese Rolle übernommen hat und die Patienten mit Rückenschmerzen, wenige in den Akutkliniken

liegen, die orthopädischen Akutkliniken oder Unikliniken haben sich überwiegend als operative

Einheiten entwickelt und die Patienten, die eben nicht zu operieren sind, die Chroniker oder die

konservativ zu behandelten, landen eben zunehmend in der Reha und Sie sehen eben, dass Sie hier

allein von 1983 auf 91 in den alten Bundesländern eine Zunahme der stationären Reha, allein in der

Rentenversicherung von circa 80 auf 280.000 Fälle hatten, also eine enorme Ausweitung mit

natürlich auch enormen Konsequenzen an Kosten. Wie hat sich das Verständnis des Rückenschmerzes

verändert? Ich gehe mal noch eins weiter. Früher gab es ganz unterschiedliche Auffassungen, was den

Rückenschmerzen machen könnte. Dieses Bild hier zeigt Ihnen, hier oben können Sie es lesen, ein

Anti-Onanier-Corsett. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es ernstzunehmende Wissenschaftler, die der

Meinung waren, dass Onanieren nicht nur zu Schwachsinn, sondern auch zu Rückenschmerzen führen kann. Also

eine damals verbreitete Auffassung. Im 19. Jahrhundert kamen dann drei neue Hypothesen, wodurch es denn

zu Rückenschmerz kommen könne. Die erste Hypothese ist die spinale Ursache, dass also die Ursache des

Rückenschmerzes an der Wirbelsäule selbst zu suchen sei. Das ist eine Veränderung in der Interpretation.

Wenn Sie vorhin als Beispiel das Onanieren hatten, das hat mit der Wirbelsäule primär nichts zu tun.

Also Ursprung des Schmerzes und Wahrnehmung sind völlig auf unterschiedlichen Ebenen. Hier geht

man dann von aus Schmerz an der Wirbelsäule, Ursache an der Wirbelsäule. Es war eine neue Denkweise im

19. Jahrhundert. Die zweite Hypothese, die neu aufgetreten ist, ist Rückenschmerz und Trauma.

Dadurch, dass die Eisenbahnen in Europa auf dem Kontinent eingeführt wurden, hat man das erste

Mal die sogenannten Railway-Spine-Verletzungen beschrieben. Das heißt, Menschen, die mit der

Eisenbahn gefahren sind und danach Rückenschmerzen hatten, haben das auf die Eisenbahn zurückgeführt.

Das heißt, man hat erstmals Rückenschmerz als arbeits- oder berufsbezogen auch interpretiert und

damit natürlich auch durch die Einführung der Sozialversicherung als grundsätzlich erstattungsfähig

angesehen. Auch eine völlig neue Denkweise bis dato. Und die dritte Hypothese, man hat Betrue verordnet.

Auch was ganz Neues. Betrue oder überhaupt Ruhe wurde das erste Mal medizingeschichtlich zur

Behandlung und war nicht nur Krankheitsfolge, sondern therapeutischer Ansatz. Bis dahin nicht

bekannt. Ich komme dann darauf, dass da auch ein wesentlicher Fehler liegt. Gut. Wie kann man

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Wolfgang Fritz Beyer Prof. Dr. Wolfgang Fritz Beyer

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:29:59 Min

Aufnahmedatum

2003-02-06

Hochgeladen am

2018-06-28 12:54:07

Sprache

de-DE

Tags

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